Dies ist ein Auszug aus meinem Buch “Wege durch die Angst”. Inhaltlich ist es soweit beendet, nun folgt die Phase von Layout und Lektorat. Du kannst es vorbestellen und es und meine weitere Arbeit daran ermöglichen. Ganz herzlichen Dank!
Es gibt also zahlreiche, massive Gründe richtig viel Angst zu haben. Das trostlose Welt- und Menschenbild unserer Kultur, die lebensfeindlichen Strukturen, die sich daraus ergeben und von denen wir existentiell abhängig sind; unser Impuls zur Individuation, der uns in Konflikt mit unserem Wunsch nach Sicherheit durch Zugehörigkeit bringt; die mangelnde Ausbildung unseres inneren Kompasses und die ausgedünnte Anbindung an die umfassende Weisheit; die vielen Menschen, die sich mehr auf äußere Autoritäten verlassen als auf ihre „innere Spur“ und die deshalb wenig vertrauenswürdig sind…
Welche Gründe gibt es aber, keine Angst zu haben, oder mitten in der Angst Vertrauen zu fassen?
Der wesentliche Grund ist, dass die trostlose Erzählung von unserem bedeutungslosen Sein in einem bewusstlosen Kosmos nicht wahr ist. Diese Vorstellungen sind wie Wolken, haben keine bleibende Substanz; sie sind zwar imstande, die Sonne zu verdunkeln, wenn wir ihnen Glauben schenken, aber sobald wir sie durchdringen, lösen sie sich auf und sind wie nie gewesen, wie ein Spuk.
Es reicht aber nicht, sich einfach zu sagen, dass es nicht wahr ist, dass ich ein unbedeutendes Etwas sei, unbehütet und ohne Sinn und mich verbiegen muss, um wenigstens noch einige Zeit leben zu dürfen – denn diese Geschichten gehen tiefer, sie sind in unseren Leib eingeschrieben, ja in unsere Seele. Wir können uns aus dieser Angst nicht hinausdenken, nicht in weitere Abstraktionen flüchten, die uns vor der Angst bewahren sollen und doch nicht dazu imstande sind.
Bleibt nur mehr, mit der Angst vertraut zu werden, damit wir erkunden und erfahren können, dass diese Erzählungen nicht die Wirklichkeit abbilden.
So kann die Angst nicht mehr gegen dich verwendet werden, dann müssen dich keine externen Autoritäten vor ihr schützen (während sie womöglich die Angst gleichzeitig schüren!), dann musst du dich wegen ihr nicht mehr selbst verraten. Und wenn sie dir vertraut wird, verliert sie nicht nur ihren Schrecken, sondern auch ihren Namen. Angst war nur ein Hilfsbegriff, ein Etikett!
Diese Zuwendung zu, ja die Akzeptanz von Angst und Schmerz, kann nicht von dir gemacht werden. Nur weil es logisch klingen mag, dass man Angst nicht besiegen kann, weil sie ein Teil unserer Existenz und tief in uns eingeschrieben ist, verschwindet der Impuls, Angst und Schmerzen zu vermeiden oder vernichten zu wollen, nicht. Denn die Angst erwischt dich ja immer dort, wo du zutiefst verletzlich und bedürftig bist, wo du dich (zu) klein fühlst. Und der Impuls, der diesen kindlichen Gefühlen entspricht, ist es, Schutz und Geborgenheit zu suchen – und das tun wir bevorzugt in der Zugehörigkeit zur Gruppe oder in unseren vertrauten Mustern, die häufig mehr betäubend, als wahrhaft nährend sind; die unsere Bedürftigkeit vorübergehend zum Schweigen bringen, sie aber nicht wirklich „stillen“.
Was bleibt dann? Wenn du in der Angst bist, dich schwach und hilflos fühlst, der Sog dich zu Suchtmustern oder zum „Kuscheln mit dem Massenbewusstsein“ zieht?
Was nicht hilft, ist, sich solche Tendenzen und Verhaltensmuster vorzuwerfen. Dann landest du nur tiefer in den vorgestanzten Bildern von heroischer Stärke und verachtenswerter Schwäche – und es geht ja gerade darum, den grob gestanzten kollektiven Bildern die Glaubens- und damit die Lebenskraft zu entziehen, zugunsten von viel feineren, dem Herzen und der unmittelbaren Situation entsprungenen Bildern.
Das bedeutet, dass es ohne Angst nicht geht. Es muss also mit der Angst gehen!
Es hilft alles nichts.
Diese Erkenntnis kann zu verzweifeltem oder zynischem Nihilismus führen – sie kann aber auch in die Hingabe führen. Vermutlich ist eine Phase des Nihilismus nicht zu vermeiden, hoffentlich ist es die der Hingabe auch nicht. Denn die Hingabe bedeutet nichts anderes, als sich dem Ruf Gottes nicht mehr zu verschließen, und nicht länger darauf zu bestehen, dass er in einer bestimmten, dir genehmen Form zu erfolgen hat. Es fühlt sich wie das Ende an, der Tod, das was du mit aller Kraft vermeiden wolltest.
Aber es ist ein Anfang.
Zu Gott zurückzukehren, während dieses Lebens – oder, in nicht religiösen Sprachbildern ausgedrückt, aus Starre und Enge in ein lebendiges, weites, fließendes Lebensgefühl zu gelangen, erfordert die Bereitschaft, zu sterben und Schmerz zu empfinden. Es gibt zwei Arten, lebendig zu sterben: Die eine erfahren wir, wenn wir uns an Formen festhalten, aus denen das Leben entwichen ist, wenn wir in einer Beziehung bleiben, die tot ist, wenn wir uns gegen berufliche Veränderung stemmen, obwohl wir spüren, dass das dran ist, wenn wir an einem Ort bleiben, obwohl uns das Leben zeigt, dass weiterziehen dran ist – aber auch umgekehrt, wenn wir uns nirgends niederlassen wollen, uns auf nichts und niemanden einlassen wollen, um uns zu schützen. Diese Art des Todes im Leben entsteht, wenn wir uns gegen Verwandlung wehren und an einer fixen Identität festhalten wollen. Ein Beispiel aus meinem Leben: Als ich nach der Schule an die Universität nach Salzburg gegangen bin, war ich noch nicht bereit, mich aus meinem Freundeskreis und meiner vertrauten Umgebung in Dornbirn zu lösen. Das Ergebnis war, dass ich im Neuen nicht ganz ankommen konnte und im Alten doch immer weniger vorhanden war – ein schmerzhaftes Siechtum, ein allmähliches Absterben, das sich erst ganz löste, als ich mich entschloss, noch weiter fortzugehen, nach Wien. Natürlich wird diese kurze Beschreibung dem wahren Erleben nicht gerecht, gab es auch in dieser Zeit entscheidende Wandlungen, kleine und große Sterbe- und Erneuerungsbewegungen, wie der bewusste Abfall von meinem alten Glauben und ein Wechsel des Freundeskreises in Dornbirn – aber diese Erfahrung hat mich durch den Schmerz des langsamen Absterbens gelehrt, mich künftig für die Zerstörung meiner alten Identität stärker zu öffnen, um für die Kraft der Erneuerung Raum zu machen.
Denn dies ist die zweite Art des Sterbens, mitten im Leben: Dass die starr, eng und allzu bequem gewordene Identität sich auflöst und ich wieder nicht mehr genau weiß, wer ich bin. Dass ich diesen Verlust voll erfahre, auch mein Festhaltenwollen erfahre, das zutiefst menschlich ist – und in mir die Bereitschaft nähre – trotz und mit aller Angst – ein Anderer zu werden, nicht mehr der zu sein, der ich war, ja ein Niemand zu sein „in den Augen der Welt“.
Das habe ich beispielsweise erfahren, als ich mich entschlossen habe, einen Job hinter mir zu lassen, der mir Geld und einen gewissen Status, Zugehörigkeit und Sicherheit geschenkt hat, in dem mir aber klar signalisiert worden ist, dass mein nächster Entwicklungsschritt hier keinen Raum bekommen wird. Ich hatte keinen neuen Job in Aussicht und die finanzielle Verantwortung für meine zwei damals noch kleinen Kinder mitzutragen – aber diesmal wollte ich nicht lebendig absterben, sondern im Sterben Lebendigkeit erfahren. Und, so schwer und angstvoll es oft war, dieses Vertrauen ist belohnt worden.
Man könnte also sagen: Wir sterben sowieso dauernd – wenn wir uns aber diesem Sterben anvertrauen, werden wir mit erneuertem Leben beschenkt. Angst lässt sich dabei nicht umgehen – wenn wir sie als Begleiterin begrüßen, verliert die Angst ihren Schrecken.
Aber all das ist zwangsläufig „abtrennend“ formuliert. Wir vertrauen uns dem Leben und dem Sterben nicht an, wir sind das Leben und das Sterben. Wenn wir das wirklich realisieren, kommen wir in einen Raum jenseits von Sprache und „dort“ gibt es auch die Angst als separates Phänomen nicht mehr.
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