Die moderne Welt ist wie ein Irrgarten ohne Ausgang, abgesehen vielleicht vom Tod. Wir haben uns auf eine dünne Schicht reduzieren lassen, in der wir herumirren auf der Suche nach Erfüllung, Zuhause-Sein, Sicherheit. Aber innerhalb der mental-emotionalisierten Schicht sind diese Zustände nicht zu erreichen. All das Suchen hält uns so beschäftigt, dass wir die Verzweiflung nicht voll fühlen müssen, darüber, dass das Ersehnte so nicht oder nie vollständig, nie endgültig zu finden ist. Aber die Verzweiflung ist natürlich trotzdem da, sie schleicht sich überall ein, wurde in den letzten Jahren zum kaum mehr zu ignorierendem Grundgefühl unserer Gesellschaften.
Die gute Nachricht, die frohe Botschaft ist natürlich, dass diese traurige Ebene aus emotionalisierter Schein-Rationalität voller Lügen und Täuschungen nicht alles ist, bei weitem nicht alles ist. Aber bevor wir darüber hinausgehen, müssen wir so richtig hineingehen, um zu verstehen. Die viel belächelten „Flat-Earther“ haben nämlich Recht, wenn wir die flache Erde als Metapher nehmen. Wir leben auf einer dünnen Scheibenwelt, auf der Spitze eines Eisberges und verleugnen alle Wirklichkeiten darunter und darüber.
Der Irrgarten unseres solchermaßen zusammengestauchten Geistes kann dabei unterschiedliche Formen annehmen: Mal ist es das tägliche Hamsterrad des immer gleichen Ablaufes, der zu keinem Ziel führt. Dieses ist nicht zu verwechseln mit einem zyklischen Lebensgefühl! Das Hamsterrad zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass es abgekoppelt ist von den natürlichen Lebensrhythmen und vom Gespür für den richtigen Zeitpunkt.
Mal zeigt sich der Irrgarten als Karriereleiter, die nirgendwohin führt, dann als saftige Karotte, die nie zu erreichen ist. Wir streben nach einem Platz in der Sonne, und haben wir ihn einmal tatsächlich erreicht, begleitet uns die Angst, ihn wieder zu verlieren. Es ist nie genug, es ist nie wirklich sicher und wir sind immer bedroht. Der Irrgarten zeigt sich in der gesichtslosen Architektur unserer Zeit, in den Monokulturen unserer Felder und unserer Medien, in der Beziehungslosigkeit, in den flachen, übernommenen Überzeugungen, mit denen wir aufeinander einschlagen und in der Rastlosigkeit, die die innere Leere nicht überdecken kann.
Zum Bild des Irrgartens, das ich hoffentlich verständlich zeichnen konnte, stelle ich nun ein scheinbar ähnliches, aber in Wirklichkeit vollkommen anderes Bild: Jenes des ursprünglichen Labyrinths. In diesem Labyrinth geht man nicht verloren - man betritt es, wenn man sich verloren hat, um sich wieder zu finden. Es gibt einen klaren, wenn auch keinen geradlinigen Weg zur (eigenen) Mitte und von dort wieder hinaus in die Welt. Es ist ein Weg der Entwirrung, der Kontemplation, der Einkehr. Ein Weg nach innen. EIN Weg. Keine Sackgassen, nirgends.
Nun könnte man sagen, das Labyrinth korrespondiert in gewisser Weise mit einer wohlgeordneten Gesellschaft, in die Menschen in unseren Vergangenheiten hineingestellt waren, meist mit einem fixen Platz und vielleicht einigen wenigen Wahlmöglichkeiten auf ihrem Lebensweg. Das moderne Leben mag einem Irrgarten gleichen, in dem wir uns ständig entscheiden müssen, ohne Durchblick, ohne Überblick. Es gilt aber, mutig diese neue Unübersichtlichkeit anzunehmen, anstatt sich nach einer starren Ordnung zurück zu sehnen. Das wäre die moderne Heldengeschichte, erlöst aus alten Ordnungen, mutig den eigenen Weg suchend.
Aber Spielräume, die geflutet sind mit Existenzängsten und angefüllt mit Abhängigkeiten und Ohnmacht, machen wenig Spaß, wie die meisten wissen werden. Und sie führen nicht in die Idividuation, sondern in eine seltsam bunte Uniformität. Das Bild des ursprünglichen Labyrinths kann uns dagegen helfen, mitten im modernen Irrgarten zu uns zu finden!
Sehen wir uns das einmal anhand von Entscheidungssituationen an, die vermutlich die meisten Menschen kennen werden, zum Beispiel die Frage, ob ich den Job beenden soll, der mich nicht (mehr) erfüllt, die Frage, ob ich eine bestimmte Ausbildung beginnen soll, die mir beruflich helfen könnte, mich aber nicht wirklich anzieht, die Frage, ob ich Geld für eine Reise ans Meer ausgeben soll, obwohl ich knapp bei Kassa bin oder die Frage, ob ich jemanden zu meiner Geburtstagsfeier einladen soll, dessen Anwesenheit mir mehr Unbehagen als Freude bereitet, der aber beleidigt sein könnte, wenn ich ihn oder sie nicht einlade.
Wenn ich mich im Irrgarten finde, dann zehren derlei Entscheidungssituationen an meinen Nerven und wenn ich mich zu der einen oder anderen Wahl entschlossen habe, bin ich vermutlich müde und es fühlt sich möglicherweise nicht ganz rund an. Vielleicht wäre es anders doch besser gewesen? Natürlich kann es sich auch befreiend anfühlen, aber häufig ist es doch eine zähe Geschichte, die uns noch ein Stückchen ausgelaugter zurück lässt. Und uns graut schon vor der nächsten Entscheidung, die auf Messers Schneide daherzukommen scheint, dem nächsten (inneren) Drama, dem wir lustlos beiwohnen. Die Wände bleiben und wir ergrauen wie sie. Manchmal scheint es um Leben und Tod zu gehen, manchmal um Misserfolg und Erfolg, manchmal feiern wir einen kleinen Triumph, dann müssen wir wieder eine kleine Niederlage verschmerzen, aber so richtig und auf Dauer gut wird es nicht. Unsere Ängste engen uns ein, unser Selbstwert ist stets gefährdet. Wer bitte hat Lust auf Dauer in einer solchen Veranstaltung mitzuspielen? Aber eben, das Exit-Schild fehlt oder führt nur zu einer zugemauerten Tür…
Wenn wir das ursprüngliche Labyrinth in die Szenerie einfügen, es mit dem Irrgarten „überlappen“ lassen, so dass zwei Bilder in einem Bild gleichzeitig da sind, ändern sich unsere Möglichkeiten und vor allem unsere Ausrichtung auf andere Art “dramatisch” - wir befinden uns tatsächlich in einer anderen Logik, auf einem neuen, erweiterten Spielfeld.
Nimm das nicht als bloße mentale Übung, sondern als etwas, das wirklich zu spüren, wahrnehmbar ist. Der Irrgarten und das Labyrinth existieren beide, wenn auch in unterschiedlichen Realitätsebenen. DU BIST ES, der diese beiden Realitätsebenen verbindet, weil DU auf beiden existierst! Das eine ist dein Erleben im (post-)modernen Alltag, das andere ist dein Seelenweg, dein Weg zurück in die „Unendlichkeit, die uns Heimat ist“. Wenn du nun in einer Entscheidungssituation, den Irrgarten „herunter dimmst“, ihn verblassen lässt, und stattdessen deine „inneren Augen“ für die Wirklichkeit deines Seelenweges öffnest, stellen sich gänzlich andere Fragen. Anders formuliert, wenn du dir andere Fragen stellst, taucht das Labyrinth auf und der Irrgarten rückt in den Hintergrund. Anstelle von „wie lässt mich das aussehen?“ beschäftigst du dich mit „was bringt mich mir selbst / meinem Selbst näher?“. Anstelle von „welche Vorteile und Nachteile hat das voraussichtlich?“ fragst du dich „was fühlt sich wirklich gut an, vielleicht etwas aufregend, aber auch befreiend, stimmig?“. Wenn ich das so niederschreibe, kommt mir die Erkenntnis, dass es sinnvoll sein kann, zwischen Irrgarten und Labyrinth-Fragen hin- und her zu switchen, dass beide ihr Berechtigung haben mögen. Vor- und Nachteile abzuwägen ist das Eine, etwas auf „Selbst-Qualität“ hin durchzuspüren das Andere. Das Entscheidende in Entscheidungssituationen ist bei dieser Betrachtung, dass sich die Prioritäten und Perspektiven mehr und mehr verschieben. Die Hinordung auf das Selbst, die Quelle hin, wird das Wesentliche, das “Rechnen”, wird zweitrangig, aber nicht unwichtig.
Eine Möglichkeit mit der Seelenqualität in Kontakt zu kommen, ist es, vom Ende seines physischen Lebens her auf eine Situation zu schauen: Was fühlt sich wesentlich an, auf was werde ich stolz oder über was werde ich froh sein, wenn all das Denken in Status, vermeintlicher Sicherheit und Anerkennung nicht mehr wichtig ist? Womit bin ich mir wie treu geworden?
So betrachtet, wird jede Entscheidungssituation zu einer Möglichkeit, mich vom Irrgarten nicht mehr oder weniger beirren zu lassen. Oft genug heißt es einfach innehalten, bis sich die Entscheidung wie von selbst, vom Selbst her, zeigt. Für mich persönlich merke ich, dass ich aus diesem vertieften Erleben meines Lebens heraus nicht mehr jeden Irrweg gehen muss, um zu erkennen, dass es einer ist. Ich lasse mich weniger von schönen oder drohenden Worten und Szenarien beeindrucken und nehme mir mehr Raum, um zu erspüren, was wirklich für mich stimmt. Es wird auch weniger bedrohlich, weil es nicht mehr um Leben oder Tod geht. Kein anderer Mensch hält mein Leben in der Hand.
An den Abschluss stelle ich einen Satz, der mir sehr geholfen hat, mir mehr Raum zu gönnen, mein aufgeputschtes Nervenkostüm zu beruhigen und aus den Lebensdramen in den Fluss der Lebendigkeit zu steigen. Der Satz wurde mir von einer spirituellen Lehrerin gegeben und ich gebe ihn an dich weiter:
Alle Wege führen zu Gott.
Danke für deine Aufmerksamkeit und dein Sein. Wenn du dir Unterstützung wünscht, beim Wechsel vom Irrgarten zum Labyrinth, bei der Stärkung deiner Ausrichtung auf das Wesentliche und bei konkreten Entscheidungssituationen, melde dich gerne bei mir. Du erhältst hier keinen Rat, ich kann und will dir die Entscheidungen nicht abnehmen. Aber du erhältst Raum, in dem du selbst erkennen darfst, was der nächste Schritt auf deinem Weg zu dir Selbst ist.
Anmerkung: Ich bin immer wieder beglückt, wenn solche sprechenden Bilder, wie jenes vom Irrgarten und vom ursprünglichen Labyrinth zu mir kommen. Und dann spüre ich einen freudigen Auftrag, das mitzuteilen, weiterzugeben, auch wenn die Umsetzung solcher Bilder in Worte ganz schön Arbeit ist. Wenn dieser Text zu dir gesprochen hat, freue ich mich, wenn du das in der für dich stimmigen Weise zeigst, so dass das Leben als eine Feier aus Schenken und Beschenktwerden erlebbar wird.
Vielen Dank für den Impuls, zwischen Labyrinth und Irrgarten zu unterscheiden. Er ergänzt meine Aussage, dass Menschen die Lösung ihrer Probleme meist dort (auf solcher Ebene) suchen, wo es sie nicht gibt. Um die "Lösung", den Ausgang zu finden, müssten sie sich auf eine andere Ebene, die Lösungsebene begeben. Mit deinen Worten, raus aus dem Irrgarten, dessen Sinn es ist, (immer mehr) zu verwirren und so lange wie möglich im Irrsystem (gefangen) zu halten und statt Ruhe schließlich Unruhe bis hin zur Panik zu erzeugen. In einem solchen (panische) Zustand sieht der Mensch dann die "Lösung" bzw. den Ausgang nicht, auch wenn er direkt vor seiner Nase liegt.