Vor gut 10 Jahren sagte ein Mann den Satz zu mir, den niemand im echten Leben hören möchte: “Geld oder Leben!”
Glücklicherweise war es kein Überfall, sondern die Kurzformel für seine Sichtweise auf die (Berufs-)Welt: Entweder bist du Teil einer Institution mit all ihren Logiken und dem Anpassungsdruck auf deine Lebensrhythmen, dafür bekommst du (Schmerzens-)Geld – oder du bist außerhalb, kannst mehr nach deinem inneren Empfinden leben, kämpfst aber stets um finanzielle Absicherung.
Der Mann wusste, wovon er sprach, hatte er doch das Kunststück geschafft, im Zentrum der öffentlichen Verwaltung ein höchst innovatives Büro zu errichten, das einer partizipativen Logik folgte, die der üblichen hierarchischen Struktur diametral gegenüber stand. Dass er sich intensiv der Praxis des Zen widmete, war vermutlich eine Grundvoraussetzung für seine Fähigkeit, etwas qualitativ Neues innerhalb von erstarrten Strukturen zu schaffen, um diese von innen zu verändern.
Mittlerweile wurde das Büro, mit dem ich als Selbständiger über viele Jahre zusammengearbeitet habe, aufgelöst und der Mann war eine Zeit lang hauptberuflich Zen-Meister.
Das früh implementierte Modell: Der ganz normale Ablauf
Aufgewachsen in den frühen Siebziger Jahren habe ich folgende Sichtweise aufgesogen wie ein Schwamm: Du bekommst / findest / erkämpfst dir einen Platz innerhalb vom System und dort bleibst du dann beziehungsweise bewegst dich von dort langsam aufwärts. Eine Stelle in einer Firma und dann allmählicher Aufstieg, keine großen Wechsel vorgesehen, dafür einen sicheren Unterhalt und dann kommt die Pension. Außerhalb davon gibt es kein Leben oder nur ein tristes, am Rande der Gesellschaft, ungesehen oder bestenfalls verachtet. Das Leben ist also klar innerhalb des normalen Ablaufs verortet, eine echte Alternative dazu war nicht oder kaum vorstellbar. Hier hieß es nicht „Geld oder Leben“, im Grunde genommen gab es keine Wahl.
Trotz einer rebellischen Ader war ich ein braver Bub. Ich wollte durchaus diesem Weg folgen, „meinen“ Platz im bestehenden System finden, auch weil es ja gar keinen anderen Weg zu geben schien – nur hat es damit nie so richtig geklappt. Die schulische Laufbahn war gut, an der Universität ging ich ein bisschen verloren, kam aber zu einem Abschluss, aber das mit der beruflichen Karriere kam von Anfang an nicht in Schwung. Das „normale System“ schien mich nicht haben zu wollen, ich werkte stets an Rändern, Nischen und in ungewöhnlichen Unternehmungen, immer Teilzeit oder prekär, immer viel lernend und in einem Tun, das ich überwiegend als sinnvoll und lebensvoll empfand. Für den Selbstwert war das dennoch nicht einfach, fühlte es sich doch selten wie „richtige Arbeit“ an, ohne dass ich genau hätte sagen können, was dazu fehlte: War es die Bestätigung durch gute Entlohnung und Status oder das Gefühl, funktionieren und gegen meine Natur handeln zu müssen und damit hart zu arbeiten?
Aber warum kam ich nicht so recht rein ins „echte Berufsleben“, war meist in Positionen und Zusammenhängen, die irgendwie randständig waren, originell vielleicht, kreativ, manchmal dringend not-wendig,1 aber nichts davon ähnelte etwas, was in meiner Kindheit und Jugend als „korrekte“ Arbeit (Vorarlbergerisch: körrig schaffa) gesehen worden wäre.
Erst nach und nach verstand ich, dass ich nicht so recht kompatibel war mit dem Hamsterrad oder dem ganz normalen Ablauf und diese Erkenntnis half mir sehr. Es war nun weniger so, dass ich nicht KONNTE, mir wurde klar, dass ich EIGENTLICH nicht WOLLTE. Meine Dysfunktionalität in diesem Sinne war möglicherweise der gesunde Teil an mir; ich hatte keinen Drang zu „8 bis 17 Uhr“ und „Lebensstellung“.
Anders als andere Bestsellerautoren oder Erfolgscoaches habe ich keinen Lebenslauf, indem ich zuerst Jahrzehnte erfolgreich Manager in entfremdeten Zusammenhängen war, bevor ich mich dem inneren und äußeren Lebenssinn zuwandte, ich war gefühlt immer auf dieser Sinn-Spur, fühlte mich aber dabei wie ein gestrandetes Alien und ziemlich unfähig, obwohl ich vielfältige Fähigkeiten ausbildete und meine Talente entwickelte.
Natürlich ist das nur ein Teil der Wahrheit, habe ich berufliche Erfahrungen in Institutionen gesammelt und war dort auch erfolgreich – aber richtig „drinnen“ hat es sich nie angefühlt, dafür war es zu kurz, zu frei gestaltbar, zu teil-zeit, zu unbedeutend et cetera.
Islands of Sanity, Leuchttürme, Schmetterlingsprojekte, Labore der Zukunft?
Die langsam sickernde Erkenntnis, dass ich nicht unfähig war und deswegen keine erfolgreiche Karriere im konventionellen Sinne hatte (dafür öfters Geldnöte), sondern dass ich eine solche Karriere gar nicht anstrebte, hat mein Leben gewandelt. Im Rückblick war mir klar, dass ich immer andere Prioritäten, eine andere innere Ausrichtung hatte, die zu keiner großen Institution mit ihrer Anpassungs-Logik passte. Und dass die Normalität, die mir in meiner Kindheit und Jugend vermittelt wurde, bei weitem nicht so umfassend ist, wie sie mir damals vorkam. Es gibt sehr viele Menschen, die auf anderen Wegen wandeln, und denen begegnete ich von nun an bewusst.
Erst war es die anarchistisch angehauchte links-alternative Szene, später dann die sich erst formierende „Wandel-Szene“, in der ich (m)eine Art von Tribes fand. Erstere waren mir bald zu außen-orientiert, zu sehr mit dem Finger auf andere zeigend – es ging mir ja auch darum, mich zu wandeln und damit „die Welt”! Bei den „Wandel-Menschen“ hingegen fühlte ich mich eine Weile so richtig angekommen, für meine Begriffe war ich sogar stark im Zentrum, gründete ein Magazin für Barfußpolitik2 und war einige Zeit Obmann eines Vereins für selbstorganisierte Erwachsenenbildung. Wir pfiffen auf Zertifikate und hohe Kursgebühren, und lernten dabei unglaublich viel – auch wie sich Selbstermächtigung anfühlt. Diese fehlenden Zertifikate sollten mich aber später wieder einholen, die Zuversicht, dass sich Bürokratie und Zunft-denken bald verabschieden würden und sich die meisten Menschen an dem, was sich essentiell und profund anfühlt orientieren würden, und nicht an offiziellen Qualifikationen, erwies sich als etwas zu visionär.
Rund um das magische Datum 2012 aber war da viel Enthusiasmus, dass diese Kultur des freien Selbstausdrucks und gleichwürdigen Miteinanders immer größere Kreise ziehen würde und es zu einer radikalen und umfassenden KULTURTRANSFORMATION der ganzen Gesellschaft, ja der ganzen Welt kommen würde.
Die hier angesiedelten Projekte – freie Schulen, alternative Wohnprojekte, ganzheitliche Medien, ganzheitliche Arztpraxen, Beteiligungsprojekte, solidarische Landwirtschaft, Gemeinwohlbanken – boten für jedes gesellschaftliche Feld mit gelebter Erfahrung ausgestattete Alternativen an, die sich nur noch durchzusetzen brauchten – nicht aufgrund von Macht, sondern dadurch, dass sie überzeugten.
Sie würden über kurz oder lang auch den scheinbaren Gegensatz von Geld und Leben überwinden!
Ernüchterung: beim Einsetzen der Krise durchgefallen
Aus der Ausrichtung auf den Erhalt und die Stärkung der SELBST-Verbindung würde eine neue Qualität der Kooperation entstehen, die weniger von extrinsischer Belohnung (wie eben Geld) oder drohender Bestrafung abhängen würde, sondern sich mehr aus natürlichen Lebensimpulsen nährt. Ko-Kreationen mit der ganzen Schöpfung, befreit von der destruktiven Gewalt, in der das Projekt menschliche Weltbeherrschung gemündet ist. Ein Zusammenspiel mit allem Lebendigen, sichtbar oder unsichtbar, aus einer vertieften Wahrnehmung heraus...
Doch, als die Krise so richtig einsetzte und vielleicht damit die Chance für tiefgreifenden Wandel, kippten so manche dieser alternativen Projekte in die Logik von Unterwerfung, Normierung Autoritätsgläubigkeit und Spaltung. Beim großen Corona-Test sind einige durchgerasselt, manche waren sogar „päpstlicher als der Papst“ und haben zum Beispiel in Wien, der Hauptstadt der Maskierung, noch auf „2G“ beharrt, als sogar die beharrlich in die Sackgasse laufende Stadtregierung diese schwere Diskriminierung aufgegeben hatte. Was für eine schmerzhafte Ent-Täuschung das für mich war!
Schon zuvor war mir allerdings klar geworden, dass in vielen alternativen Projekten der Anpassungsdruck an Gruppenmeinungen keineswegs weggefallen war; manchmal war er sogar noch stärker als in herkömmlichen Organisationsformen, aber besser übertüncht. Insofern könnte man sogar sagen, dass es hier zwar wenig zu verdienen gibt, der Spielraum aber dennoch nicht immer so groß ist, wie vermutet.
Mir geht es hier aber nur zu einem Teil um die Aufarbeitung meiner Irrtümer und noch weniger um eine Anklage, sondern weiterhin um die Frage: wo liegt der unmögliche Weg hinaus aus der „Matrix“? Wie können umfassender Selbstausdruck und gelungene Kooperation zusammenfinden? Wie müssen Institutionen beschaffen sein, die Selbst-Verbindung fördern, anstelle von Selbst-Entfremdung? Geht das überhaupt?
Ich suche einen Weg, der nicht durch Resignation (Anpassung) oder Rebellion (Kampf gegen das „System“) geprägt ist, sondern eine Regeneration befördert, eine neue Verbundenheit oder Rückbesinnung zur eigenen und äußeren Natur. Ein Weg, der gangbar ist, geerdet und nicht eine Illusion aufbaut, die im Krisenfall, sobald die Angst grassiert, in sich zusammenbricht und der gleichen alten Unterwerfungs- und Kriegslogik folgt.
Dazu habe ich mein Buch “Wege durch die Angst” veröffentlicht, dass mit Humor, Poesie und viel Lebenspraxis hilft, der Angst nicht zu erliegen und in destruktive Muster zu verfallen, sondern wirklich hindurchzugehen und sich dabei selbst treu zu werden.
Heimliche Geldquellen
Es geht also nicht darum, alternative Projekte abzuschreiben, sondern sie nüchterner wahrzunehmen: Als Orte, an denen verschiedene Logiken miteinander in Kommunikation kommen und sich bestenfalls fruchtbar reiben und dadurch zu neuen Kreationen kommen. Dass sie Modelle sind, die einfach nur in großem Stil nachgeahmt werden müssen, damit „alles gut wird“, bezweifle ich mittlerweile stark. Aber dass neue Logiken des Miteinanders hier erprobt werden und alte Muster verlernt werden können, habe ich vielfach erfahren, sowohl als Beteiligter, als auch als professioneller Begleiter von solchen Projekten seit 2011.
Das Leben spielt sich also sowohl innerhalb, als auch außerhalb großer Institutionen ab und wo dein Weg derzeit besser zu gehen ist, kannst nur du wissen. Eine liebe Bekannte von mir, als Beispiel, arbeitet seit Jahrzehnten in großen Verwaltungs-einheiten und wirkt hier für einen Wandel hin zu einer menschen-freundlichen Kultur; sie ist sehr verbunden mit ihrer inneren Stimme und/oder ihren Guides und manchmal sagen die ihr simpel: Jetzt musst du diese Excell-Tabelle ausfüllen, das ist deine Aufgabe in diesem Moment. Es geht also nicht (nur) um das Was, sondern auch um das Wie und noch mehr um das aus welcher Quelle heraus und mit welchem Bewusstsein.
Auch wenn mein Weg mich zu einem guten Teil aus den Institutionen hinaus geführt hat, halte ich „Geld oder Leben“ mittlerweile also für eine zu grobe Brille. Die Wandlung, die ich als nachhaltig und tiefgreifend erlebe, setzt woanders an: bei den inneren „Programmen“ von Scham, Selbstwertmangel, Schuldgefühl, Drama und Angst – solange diese unerkannt wirksam sind, ist der Vordergrund, hinter dem sie wirken, austauschbar.
Eine weitere Erkenntnis innerhalb von alternativen Projekten und Feldern oder als Begleiter derselben ist, dass oft (lange) nicht darüber gesprochen wird, woher das Geld kommt. Auch hier wird einiges in die Fassaden gesteckt: Die Heilerin schämt sich, dass ihre hauptsächliche Geldquelle aus dem ungeliebten Buchhaltungsjob kommt; die Anarchistin wird von ihren Eltern finanziert; der Wandelpionier bekommt Kohle aus der Wohnung, die er vermietet; der Kämpfer für Nachhaltigkeit hat geerbt…
Ich spreche das an, weil es für mich eine Erleichterung war, diese manchmal schamvoll verdeckten Geldquellen in den Blick zu bekommen. Es geht mir darum, die Programme von Scham und Mangel zu lösen, nicht sie zu verstärken. Es ist schwierig, mit menschenfreundlicher, kreativer und pionierhafter Arbeit ausreichend Geld zu verdienen. Das liegt auch in der Art, wie Geld programmiert ist – es fließt „gerne“, in Projekte, die viel Return of Investement bieten, und das sind Wandelprojekte nur sehr bedingt. Deswegen muss man sich weder schämen, wenn man aus anderen Geldquellen gespeist wird, noch, wenn man schwer darum ringt, genug Geld für Miete, Essen, Energie etc. zu „verdienen“.
Da ich keine Geldquellen dieser Art zur Verfügung habe, übe ich mich – auch hier bei diesen Texten – darin, zu fragen, ob jemand mehr als genug hat und meine Arbeit wesentlich findet, um sie mitzufinanzieren. Und ich übe mich darin, dass in Freiheit und als König in vollem Selbstwert zu tun, nicht als Bettler oder brotloser Künstler. Auch das ist Teil der De-Programmierungsarbeit, des Ausbruchs aus dem Gefängnis, das uns voneinander isoliert und unserer Stärke beraubt.
Konto: Mag. Michael NUSSBAUMER
AT47 1420 0200 1188 3436 oder via Paypal.
Let it go, let it flow, let it grow…
Scham, Schuld- und Versagensgefühle, dass sich der große Erfolg nicht einstellen will, dass es keine Zehntausende an Followern, ausgebuchte Seminare und überquellende Auftragsbücher gibt, sind im Grunde ein Fortsetzung meines jahrzehntelangen Mangelgefühls, dass ich keinen Platz „im System“ finde, beziehungsweise dort nicht die Karriereleiter hinaufsteige. Es ist entscheidend, zu erkennen, dass ich/du/etwas in uns, diese Art von Erfolg nicht als oberste Priorität hat und nicht bereit ist, den Preis der Selbstentfremdung zu zahlen, sondern einem anderen Stern folgt:
Was ist wirklich stimmig für mich?
Wo zieht es mich hin, wo stößt es mich weg?
Wo verbiege ich mich noch, und wie kann ich mich wieder aufrichten?
Wie viel Zeit will ich für meine Regeneration in tiefstem Sinne verbringen, täglich?
Was will ich nähren, wie will ich leben?
Ich will ein Leben in meinem Rhythmus, schwingend mit Gottes Herzschlag, nicht im Takt der großen Maschinerie! Und, als Gegenmittel zum schleichenden Gift der Angst, nicht geliebt zu werden, nicht dazuzugehören, nicht gesehen zu werden und also sterben zu müssen, will ich mein Selbst, mein innerstes Wesen und letztlich das große Selbst, den großen Geist als meinen besten Freund und meine beste Freundin dauerhaft und unerschütterlich etablieren.
Denn das ist die ultimative De-Programmierung, die die Fremdbestimmung ablöst. Sie isoliert nicht, sie hebt die Isolation auf! Und dadurch dürfen wir eine Einbettung erfahren, die wahrhaft trägt!
Hier noch eine Einladung zu einer Jungfernfahrt der ganz speziellen Art - veranstaltet von der Schnabelweide, der Plattform meines sehr geschätzten Kollegen Stefan Tilg. Ich habe die Freude, dabei mitwirken zu dürfen und du bist sehr herzlich eingeladen - so günstig wird es das Angebot nie wieder geben :-)
wir sprechen hier von niederschwelliger Friedensarbeit in einer kriegszerstörten Stadt, von Flüchtlingsbegleitung für „Chancenlose“, von Theater für Kinder, demokratischen Hauptschulabschlusskursen, Arbeit mit Obdachlosen, Straßentheater oder Workshops zur Verbesserung von Schulkultur und so weiter
www.tau-magazin.net, das ich 10 Jahre lang mit aufbaute und gestaltete.
Danke für diesen lesenswerten Text! Hat mich dazu animiert, dein Buch Wege aus der Angst zu bestellen.
Danke, sehr wertvoll diese Gedanken, die ich absolut mit dir teile. Ich stelle mich auch gerade diesem inneren Dialog von Geld ODER Leben. Erstrebenswert ist einfach ein UND.